Horchfunker in Hambühren



von Wolf-Rüdiger Wulf
Mehr als 13 Jahre sind vergangen, seit Fernmeldesektor Q in Hambühren außer Dienst gestellt und damit die Bundesdienstflagge in der Kaserne an der Bundesstraße 214 zum letzten Male niedergeholt wurde. "Außerdienststellung" - das ist die militärisch-korrekte Bezeichnung für einen Vorgang, der im zivilen Bereich weniger vornehm, dafür bildhafter als "Betrieb geschlossen", "Standort verlagert" oder volksmundartlich-schlicht als "platt gemacht" bezeichnet wird. Nachdem die Horchfunker seit 1957 ihren Dienst in Hambühren tagein-tagaus, rund um die Uhr und auch an Sonn- und Feiertagen versehen hatten, stellen sich folgende Fragen:


Nichts von alledem! Bis zum letzten Tage galt der Antennenstandort in Hambühren als einer der besten der Luftwaffe überhaupt.

Die Einheit verfügte über ausgezeichnet ausgebildete Horchfunker und Auswerter, allesamt interessiert an ihrer Arbeit und sehr engagiert, und die Meldungen aus Hambühren waren als jederzeit zuverlässig bekannt. Sie konnten ohne weitere Prüfung ins Lagebild eingefügt werden. Warum trotz dieser positiven und lobenden Einschätzung die Bundesdienstflagge 1994 endgültig eingeholt werden musste, auf diese Frage werden wir am Ende des Beitrags eine Antwort suchen.

Mehr als 13 Jahre nach der Außerdienststellung des Fernmeldesektor Q ranken sich um Auftrag und Bedeutung dieser militärischen Einheit sowohl in Hambühren selbst als auch im weiteren Umland immer noch die wildesten Gerüchte. Manch einem der Soldaten und zivilen Mitarbeiter, die im Block 10, dem hoch abgesicherten Herzstück der Kaserne, brav und anständig ihre Arbeit verrichteten und diese aufgrund der Gewöhnung als völlig normal empfanden, trieb und treibt es manchmal die Schamröte ins Gesicht, wenn von den James-Bond-gleichen Fähig- und Fertigkeiten der Hambührener Horchfunker geraunt wird.

Der Grund für die Gerüchtebildung ist simpel: Die fachliche Tätigkeit des Sektors erfolgte unter strenger Geheimhaltung. Alle Mitarbeiter - gleich, ob in Uniform oder in Zivil - waren vor ihrem Einsatz in Block 10 einer peniblen Sicherheitsüberprüfung unterzogen worden. Sie durften außerhalb des Dienstes nicht über ihre Arbeit reden und hielten sich unter dem Eindruck wiederholter Sicherheitsbelehrungen an diesen Befehl.

Diejenigen jedoch, denen sich unter Alkoholgenuss denn doch die Zunge löste, und andere, welche der neuen Favoritin mit ihrer klandestinen Beschäftigung zu imponieren trachteten - nun, diese gehörten in aller Regel nicht zu jenem Kreis, der Geheimnisse zu verkünden hatte.

Welches war nun wirklich die Aufgabe dieser Einheit, die bereits im blühenden Alter von 37 Jahren nach zahlreichen Umbenamsungen das Zeitliche segnete, in einem Alter also, in welchem man menschliches Hinscheiden als zumindest tragisch bezeichnen würde?

Fernmeldesektor Q gehörte zum Dienstteilbereich Fernmelde- und elektronische Aufklärung der Luftwaffe. Jedem Funkamateur, der von Celle kommend die B214 befuhr, drängte sich spätestens nach Passieren von Hambühren I die Gewissheit auf, dass links voraus, hart an der Bundesstraße eine Heptagonantenne stand, eine Kurzwellenantennenanlage mit sieben Gittermasten, jeweils 35 Meter hoch, die auf Rundumempfang eingerichtet war. Und rechts hinten im Gelände, entfernt zwar, dennoch deutlich zu erkennen weitere Gittermasten, die allerdings bei Bodennebel nur schemenhaft in Erscheinung traten. Dort hinten, in feuchtem, moorigen Untergrund lag der Standort von sechs Rhombusantennen, die auf den präzisen Empfang von Funksignalen aus bestimmten Richtungen ausgelegt waren.

Seinerzeit befanden wir uns in einer neuen, eigenartigen und bis dahin noch nicht in Erscheinung getretenen Form militärischer Auseinandersetzung: dem Kalten Krieg.


Während des Kalten Krieges wurde kein Schuss zwischen den Seiten abgefeuert, jedenfalls kein Ernst gemeinter, lagen doch beide unter der Fuchtel des so genannten nuklearen Patts. Heißt: Die beiderseitigen Vorleute, USA und UdSSR, hatten sich zu Nutz und Frommen ihrer jeweiligen Militärindustrien reichlich mit atomaren Sprengköpfen eingedeckt, zudem biologische und chemische Waffen in den Arsenalen angehäuft. Sie verfügten damit über Zweit- und Drittschlagfähigkeit, was in etwa der Steigerung von "tot" entspricht. Ein zynisches Bonmot aus jener Zeit: "Wer als Erster schießt, der stirbt als Zweiter!" Es war also nur über die Reihenfolge zu entscheiden, nicht über das Ergebnis an sich.

Um Aufgabe und Stellung des Fernmeldesektor Q ohne Bruch der militärischen Geheimhaltung zu umschreiben, wollen wir uns an einem Papier des Luftwaffenamtes in Köln1 orientieren, welches das Amt zur Nachwuchswerbung für die Laufbahn der Horchfunker des Fernmeldesektor D in Gatow bei Berlin herausgibt. Dieser Sektor ist eine Schwestereinheit, die vordem in Osnabrück beheimatet war und die der Wind der Umstrukturierung der Bundeswehr nach Osten verschlagen hat.

Nach Aussage der Broschüre des Luftwaffenamtens haben politische und militärische Führung des Landes ständigen Bedarf an zuverlässigen und aktuellen Informationen zur Lagebeurteilung und sicheren Entscheidung. Hierzu leistet die Fernmelde- und elektronische Aufklärung einen bedeutenden Beitrag. In diesen Auftrag war auch Fernmeldesektor Q in Hambühren eingebunden. Im Kalten Krieg stand der potenzielle Gegner im Osten. Dem entsprach die Ausrichtung der Empfangsanlage.

Aufgrund des homogenen und damit hochleitfähigen Untergrunds waren die Hambührener Antennen in besonderer Weise geeignet, Funksignale aus mittleren Entfernungen zu erfassen wie auch den Aufklärungsraum in der Tiefe auszuleuchten.

Zum Abhören bzw. Verarbeiten der empfangenen Funksignale waren die Arbeitsplätze der Horchfunker mit Funkempfängern und Aufnahmegerät sowie Bedieneinheiten für die EDV- und Peilanlage ausgestattet. Aufgabe der Horchfunker war es, an der Aufklärung eines zugewiesenen Auftragsraumes mitzuwirken. Das Papier des Luftwaffenamtes zur Nachwuchswerbung beschreibt recht genau einzelne Tätigkeiten und insbesondere die Grob- und Feinziele der Aufklärung:

"Telegrafieverkehre in dem betreffenden Gebiet werden gesucht, überwacht und mitgeschrieben, um folgende Informationen zu erhalten:


Fernmeldesektor Q war also eine Aufklärungseinheit. Den ganz Naseweisen, die unbedingt noch wissen wollen, welches geografische Gebiet für die damalige Landesführung von besonderem Interesse war, denen raten wir, eine alte Landkarte zur Hand zu nehmen, welche die politischen Grenzen in der Zeit vor 1989 enthält. Zu jener Zeit standen starke Verbände der sowjetischen Truppen (Land- und Luftstreitkräfte) in erster Linie in der damaligen DDR, aber auch in Polen, in Ungarn und in der CSSR (die nach der Wende in Tschechien einerseits und die Slowakei andererseits zerfiel). Damit nicht genug, verfügten die Satellitenstaaten selbst über eigene Streitkräfte, deren Stärke das im Westen übliche Verhältnis zwischen Zahl der Einwohner und Anzahl der Soldaten bei Weitem überstieg. Zumindest die DDR-Führung nutzte jede Gelegenheit zu betonen, dass ihre Militärangehörigen, die Soldaten der Nationalen Volksarmee, zur ersten strategischen Staffel des Warschauer Paktes gehörten.

Entgegen landläufiger Meinung ist die Fernmelde- und elektronische Aufklärung keine Form der Spionage. Es entspricht internationalem Recht, Funksignale, die infolge der Ausbreitung elektromagnetischer Wellen bei der Kommunikation zwischen militärischen Teilnehmern, also zwischen Dienststellen, Verbänden und Einheiten der Streitkräfte erzeugt werden und die sich häufig genug über die eigenen Landesgrenzen hinaus ausbreiten, zu empfangen. Ziel dieses Empfangs ist technisch-taktische Analyse und vor allem die Standortfeststellung.

Ein Exkurs: Die deutliche Zunahme der technischen Aufklärung nach dem zweiten Weltkrieg, wie diese Form der Informationsbeschaffung auch genannt wird, ist unter anderem im Phänomen der postheroischen Gesellschaft begründet. Herfried Münkler2 definiert die postheroische Gesellschaft als das Verschwinden eines Kämpfertyps, der durch gesteigerte Opferbereitschaft ein erhöhtes Maß gesellschaftlicher Ehrerbietung zu erwerben trachtet. So ist die Bereitschaft, als Agent in ein Land einzudringen, das unter totalitärer Herrschaft steht, in den meisten Nationen gegen Null gesunken. Immerhin droht häufig bei Aufdeckung die Todesstrafe. Das erklärt, warum umgekehrt die Willigkeit von Bürgern totalitärer Systeme zum Kundschaftereinsatz in demokratischen Ländern durchaus noch vorhanden ist: Dort wurde vor Jahren schon die Todesstrafe geächtet (zumindest in der überwiegenden Zahl der Demokratien), so dass bei Enttarnung nach relativ kurzer Freiheitsstrafe die Abschiebung in die Heimat die Norm darstellt. Als Draufgabe winkt die Chance, im Zielland (recht lange) ein sorgloses Leben auf hohem Niveau führen zu können. Mit Sicherheit wird die Verfestigung der postheroischen Gesellschaft insbesondere in den westlichen Ländern durch den Rückgang der Fertilität begünstigt, also die Hinwendung dieser Nationen vom Kinderreichtum früherer Zeiten zur Ein- oder höchstens Zweikindfamilie. Gunnar Heinsohn 3 und Edward Luttwak 4 sehen in dieser Entwicklung die Begründung für die Sorge westlich-demokratischer Regierungen vor dem Verlust eigener Soldaten in einer Stabilisierungs- bzw. Interventionsoperation. Im Gegensatz dazu steht das massenhafte Auftreten von Selbstmordattentätern aus den Mehr-Sohn-Familien heroischer Gesellschaften, vor allem der muslimischen Welt.

Zurück zum Fernmeldesektor Q: Eingangs hatten wir bereits festgestellt, dass der Sektor bis zum Ende seines Bestehens innerhalb der "Community", der Gemeinschaft der Verbände und Dienststellen der Fernmelde- und elektronischen Aufklärung, als leistungsfähige Quelle galt, die zudem über eine Antennenanlage mit sehr hohem Antennengewinn verfügte. So lag der Grund für die Entscheidung, den Sektor außer Dienst zu stellen, tatsächlich in einer Neukonzeption der Aufklärung insgesamt. Die vorausgehende Planung verlangte Straffung der Organisation. Die Auswahl des Fernmeldesektor Q für die Außerdienststellung folgte militärischen Unterstellungs- und Stationierungsüberlegungen. Sie fiel bereits zu einer Zeit, da jedermann Prophezeiungen, in Kürze werde ein Generalsekretär der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU) namens Mikhail Gorbachev den Weg zur deutschen Wiedervereinigung frei machen und mit seinen Reformideen den Zerfall der Sowjetunion einläuten, ins Reich der Phantasie verwiesen hätte. Damit bleibt als abschließende, gleichwohl wenig versöhnliche Feststellung die Erkenntnis, dass der Sektor in Hambühren der "Wende" zum Opfer gefallen wäre, wäre er nicht bereits Leidtragender des neuen Aufklärungskonzepts gewesen (das dann infolge der Neuordnung der Welt auch nicht umgesetzt wurde).

Es gab Rettungsversuche in letzter Minute, weil dem einen oder anderen Entscheidungsträger dämmerte, dass man die sehr leistungsfähigen Antennen in Hambühren nicht ohne Not abbauen sollte. Aber die Planung, die Planung ...! Außerdem waren zu jenem Zeitpunkt bereits alle Züge abgefahren und Hambühren stand gar nicht mehr im Kursbuch.

Beim "Rückbau" (militärischer Neusprech für Abriss), also beim Rückbau der Antennenanlage stellte sich übrigens zur heimlichen Freude der Horchfunker heraus, dass sich das Material offenbar ebenfalls heftig gegen seine Aussonderung wehrte: Die nach dem zweiten Weltkrieg von der britischen Rheinarmee errichteten Gittermasten konnten mit einigem Aufwand entfernt werden. Aber die riesigen Fundamente, die zum Teil in moorigem Untergrund steckten, leisteten starken Widerstand.

Den ehemaligen Hambührener Horchfunkern bleibt allein die berechtigte Überzeugung, ihren nicht geringen Beitrag dazu geleistet zu haben, dass während der immer wieder auftretenden Spannungsperioden zwischen Ost und West im NATO-Lager infolge hoher Informationsdichte und zutreffender Lagebeurteilung Fehl- oder auch Überreaktionen unterblieben, wenn die "andere Seite" wieder einmal ein Vabanquespiel trieb.

  1. "Fernmeldesektor D, Aufklärungsspezialisten", Herausgeber: Luftwaffenamt , 51140 Köln
  2. Herfried Münkler, Der Wandel des Krieges, 1. Aufl. 2006, S. 310
  3. Gunnar Heinsohn, Söhne und Weltmacht, 2003
  4. Edward Luttwak, Strategie - Die Logik von Krieg und Frieden, Lüneburg 2003