Ein runder Geburtstag



von Wolf-Rüdiger Wulf
(anlässlich der Feier "50 Jahre Unteroffiziere in Hambühren")

Es war ein Fest der alten Kameraden, des Wiedersehens nach langen Jahren, und es war ein Fest des Erinnerns und der Erinnerungen - der fünfzigste Geburtstag der Unteroffizier-Vereinigung Hambühren e.V., begangen am 15. September 2007 in Winsen an der Aller, unweit des Standorts des Fernmeldesektor Q.

Mehr als 13 Jahre ist es her, dass am 31.03.1994 die Bundesdienstflagge in der Kaserne Hambühren bei der letzten Flaggenparade niedergeholt und verpackt wurde und die letzten Soldaten des Nachkommandos des Fernmeldesektor Q die Kaserne verließen. Bereits am 26.08.1993 hatte der Kommandeur des Luftwaffenführungsdienstkommandos, Brigadegeneral Paul Westhoff, den Sektor außer Dienst gestellt. Knapp 37 Jahre zuvor begann die Geschichte der Einheit so hoffnungsfroh und aussichtsreich:

In November 1957 verlegte die 2. Kompanie/ Fernmeldeabteilung 711, aus der nach etlichen Strukturänderungen und Umbenennungen der Fcrnmelde-sektor Q werden sollte, von Osnabrück nach Hambühren. 2./711 (so die Kurzbezeichnung) war eine Einheit der Fernmelde- und Elektronischen Aufklärung der Luftwaffe. Schon diese Tatsache wurde seinerzeit emsig geheim gehalten, obgleich jeder Funkamateur, der auf der B214 von Celle nach Hambühren fuhr, hart links an der Bundesstraße die sieben schlanken 35-Meter-Gittermasten einer Heptagonantenne erkennen konnte, und - sofern kein Bodennebel die Sicht trübte - rechts hinten im Gelände die sechs Rhombus-Antennen, die präzisen Richtempfang aus unterschiedlichen Interessengebieten ermöglichten. Anfänglich mussten immer wieder neugierige Fragen der Hambührener Einwohner abgewehrt oder mit Notlügen bedient werden: "Die Sicherheit, die Sicherheit, Sie verstehen schon!" hieß es. und außerdem wusste keiner der Soldaten genau, was eigentlich er sagen durfte und was alles nicht. Und so blieb jeder lieber bei einer erfundenen, jedoch in jedem Fall falschen Geschichte. Diese Neugier der Ortsbevölkerung wurde erst recht angestachelt, als Anfang der 60-er Jahre des vorigen Jahrhunderts im Gelände nördlich der Kaserne ein Kurzwellenpeiler (Funker-Jargon: Sechsmastenzirkus) aufgestellt worden war. Manch pflügendem Bauern konnte nämlich bei der Ablösung der Peilfunker ein Blick ins Innere der Hütte auf das Bedienpult des Peilers nicht verwehrt werden, zumal die Peilstelle weder eingezäunt noch mit Sichtschutz versehen worden war. Die blinkenden Lämpchen und leuchtenden Skalen der Anzeigeeinheit, die bei Dämmerung und Dunkelheit gut zu erkennen waren, sorgten für wilde Gerüchte.

Obwohl Fernmeldesektor Q innerhalb der "community", also in der Organisation der Fernmelde- und Elektronischen Aufklärung einschließlich der Partnerdienste einen sehr guten Ruf hatte, seine Soldaten für ihre Zuverlässigkeit und ihren Sachverstand gerühmt wurden, fiel die Einheit einer geplanten Organisationsänderung der Aufklärung zum Opfer (und wenn das nicht eingetreten wäre, so wäre es die "Wende" 1989/1990 gewesen). Da half auch nicht, dass Hambühren als der beste Antennenstandort der Luftwaffe bekannt war. Die gewaltigen Betonfundamente der Gittermasten standen nämlich in moorigem Untergrund, also auf sehr homogenem und damit hoch leitfähigem Boden, und die Antennen erbrachten dadurch einen außergewöhnlichen Antennengewinn. Gewiss, aus heutiger Sicht erscheint es wenig sinnvoll und bar jeder vorausschauenden Planung, eine derart leistungsfähige Antennenanlage zu schleifen. Jetzt, im Jahr 2007, wäre eine solche Anlage angesichts der neuen Auftragslage der Fernmeldeund Elektronischen Aufklärung der Bundeswehr möglicherweise Gold wert. Aber: "wäre" steht für den Konjunktiv und militärische Planung hat sich an Realitäten, nicht an der Möglichkeitsform zu orientieren. Und: Wenn 1985 oder 1986 ein sehr Kluger auf die Wahrscheinlichkeit einer alsbaldigen Wiedervereinigung einschließlich aller inzwischen eingetretenen Folgen für die Bundeswehr hingewiesen hätte - er wäre im günstigsten Falle als Spinner abgetan worden.

Die Gittermasten der Langdrahtantennen wurden demontiert und - nachdem sich ein Interessent gefunden - das Kasernengrundstück verkauft, die Gebäude abgerissen. Auf dem ehemaligen Kasernengelände entstand ein neues Wohngebiet mit schmucken Einfamilienhäusern. So widersinnig es klingt - ganz verschwunden ist sie nicht, die alte Funkerkaserne: Das Material der Gebäude ward zerkleinert, und daraus entstand zwischen Wohngebiet und Bundesstraße 214 ein zwischenzeitlich begrünter Lärmschutzwall. Zudem gelang es Mitgliedern der Unteroffizier-Vereinigung aufgrund ihrer guten Kontakte zur Gemeinde Hambühren, Einfluss auf die Straßennamen des neuen Wohngebiets zu nehmen. So gibt es dort einen Morseweg, eine Straße namens An der alten Kaserne und eine weitere mit der Bezeichnung Hinter der Wache. Vielleicht das stille Überleben eines längst tot Geglaubten?

Obgleich also Fernmeldesektor Q 1994, im blühenden von nur 37 Jahren das Zeitliche segnete - die Unteroffizier-Vereinigung Hambühren lebt, hat weder Falten noch Runzeln, ist umtriebig wie in früheren Jahren und lässt so in der Tat hoffen, auch noch das 75. Wiegenfest (gar nicht mehr so lange hin - bereits im Jahre 2032) feiern zu können. Einige Mitglieder und Ehemalige sind etwas breiter geworden als ihre Uniform früher zugelassen hätte, und viele sind weißer (was nicht unbedingt mit weiser gleichgesetzt werden sollte). Seit die Vereinigung sich entschlossen hat, die Aufnahme neuer Mitglieder nicht auf jene zu beschränken, die als Soldaten bei Fernmeldesektor Q oder doch zumindest bei der Fernmelde- und Elektronischen Aufklärung der Luftwaffe bzw. der Bundeswehr gedient haben, hat sich der Mitgliederbestand spürbar erhöht. Dabei sehr erfreulich: die Neuzugänge beschränken sich keinesfalls nur auf die häufig apostrophierten "alten Knochen" - der Jüngste bringt gerade mal 21 Lebensjahre auf die Waage.

Das Fest zum fünfzigsten Geburtstag der Vereinigung wurde von langer Hand und sichtbar mit großer Sorgfalt vorbereitet. So unterzog sich der Vorsitzende, Stabsfeldwebel a.D. Peter Stübbe, unter anderem der tatsächlichen Mühe, eine Jubiläumsschrift (119 Seiten DIN A 4) zu erstellen, welcher er die bescheidene Bezeichnung "Versuch einer Chronik" gab. In seinem Vorwort beschreibt Stübbe das Selbstverständnis der Unteroffiziere in Hambühren, und dies mit dem gebotenen Selbstbewusstsein eigener Fähigkeiten und anerkannter Leistung. Sodann gibt es ein Kapitel "50 Jahre Unteroffiziere am Standort Hambühren", weitere Kapitel "36 Jahre Fernmeldeaufklärung am Standort Hambühren" und "Horchfunker in Hambühren", einige aus dem Soldatenleben gegriffene Geschichten und Geschichtchen, eine Sammlung mit Presseveröffentlichungen zum Thema Bundeswehr und speziell Unteroffiziere in Hambühren und eine kleine "Dorfchronik Hambühren". Das Werk (die Bezeichnung ist wahrhaft weder anmaßend noch zu hoch gegriffen) ist reich bebildert, wird darüber hinaus abgerundet durch eine kleine Auswahl großformatiger Fotos aus früheren Jahren. Natürlich gab es Mitglieder, die Peter Stübbe zugearbeitet und geholfen haben, aber - wie immer bei derart Anlässen - blieb die Festschrift das Baby des Vorsitzenden und mehr oder weniger eine one-man-show.

Zur Geburtstagsfeier in Winsen am 15. September 2007 erschienen offiziell rund 200 Gäste. Nach dem Gedränge in den Räumlichkeiten und den vollkommen besetzten Tischen müssen es jedoch weitaus mehr gewesen sein. Neben den Mitgliedern und Ehemaligen aus dem Raum Celle nahmen die Gäste teils große Anmarschwege in Kauf: aus Flensburg, Heiligenhafen, Berlin (Gatow), Aachen, Rheine, Augsburg, München - und aus Trier(!) kamen sie. Unter den Gästen die Ehefrauen der bereits verstorbenen Mitglieder SF a.D. Hein Bauersachs und SF a.D. Ernst Thießen und des bis zum seinem Tode hoch verehrten ersten Chef der Fernmeldeeinheit Hambühren und langjährigen Ehrenpräsidenten der Unteroffizier- Vereinigung, OTL a.D. Bruno Neumann. Die Teilnahme der genannten Damen gab der Veranstaltung das intime Flair einer echten Familienfeier. Etliche Soldaten waren in Uniform erschienen - eine sehr positive Geste, dokumentierte sie doch einerseits die feste Verbindung zwischen den aktiven Unteroffizieren, die vor Jahren in Hambühren stationiert gewesen waren, und ihren zwischenzeitlich im Ruhestand befindlichen Kameraden und andererseits die Bereitschaft und das Selbstbewusstsein derjenigen, die zu ihrem Beruf und ihren beruflichen Pflichten stehen. Fachsimpeleien am Rande der Veranstaltung ließen erkennen, dass auch die heutigen Aufklärer noch über dieselbe Technikbegeisterung und die gleiche Neugier wie ehedem verfügen.

Einer der Höhepunkte des Abends war mit Sicherheit der Auftritt von Dr. Peter Struck MdB, Bundesminister der Verteidigung a.D. Dem Vorstand der Unteroffizier-Vereinigung war es gelungen, Peter Struck als Festredner zu gewinnen, und es musste überhaupt nicht um Ruhe gebeten werden, als Letzterer das Mikrophon ergriff. Dem prominenten Gast gelang es schnell, mit seiner Rede das Interesse und die Aufmerksamkeit der Anwesenden zu binden. Man merkte, hier sprach ein Insider, einer, der das Gefüge der Bundeswehr in all seinen Facetten kannte, der die Anfange der Umstrukturierungphase der deutschen Streitkräfte hautnah miterlebt und vor allem mitgestaltet hatte. Peter Struck spannte den Bogen seines Vertrags (ohne Konzept und Spickzettel) von der "alten" Bundeswehr in den Zeiten des Kalten Krieges hin zur heutigen mit ihren vielfältigen Auslandseinsätzen und begründete ausführlich, dass es wichtig und richtig sei, wenn deutsche Soldaten derzeit auf dem Balkan, am Horn von Afrika und vor der libanesischen Küste ihren Friedensbeitrag leisten und insbesondere in Afghanistan für Ruhe, Sicherheit und Wiederaufbau stehen. Das war ein ernster Vortrag, dessen Eindringlichkeit sich keiner der Anwesenden entziehen konnte. Wohl niemand unter den Festgästen hatte zuvor die Gelegenheit gehabt, aus so berufenem Mund zu hören, warum das wiedervereinigte Deutschland mehr Verantwortung in der Welt übernehmen muss, und welche Gefahren und Belastungen für die Soldaten der Bundeswehr daraus entstehen.

Ohne Zweifel war die Fünfzig- Jahr- Feier der Unteroffizier-Vereinigung Hambühren eine jener gelungenen Veranstaltungen, welche die Pflöcke der alten "FmEloAufklLw" (Fernmelde- und Elektronischen Aufklärung der Luftwaffe) immer wieder neu befestigen. Zur Freude und Genugtuung von Vorstand und Vorsitzendem zeigte sich anlässlich der "Manöverkritik" beim ersten Monatstreffen der Vereinigung nach dem Fest, dass es aus den Reihen der Mitglieder eitel Zufriedenheit, Zustimmung und sogar Begeisterung gab. Beispiele wie die fest gefügte Hambührener Vereinigung zeigen, dass dort, wo sich stabile Kameradschaften gebildet haben, die Lichter der Fernmelde- und Elektronischen Aufklärung selbst dann nicht so schnell erlöschen werden, wenn der jeweilige Standort geschlossen wurde.